caja Uli Gsell Dettinger Park Plochingen   Marko Schacher

 

 

 

Paul Valéry: „Finden ist nichts. Das Schwere ist, sich das Gefundene anzuverwandeln.“

Statt die Natur zu imitieren, hat sich Uli Gsell schon früh entschlossen, den Dialog mit der Natur zu suchen und den ästhetischen Eigenwert des verwendeten Naturmaterials zu untermauern. Manche Skulpturen scheinen noch mitten in der Metamorphose vom Natur- zum Kunstprodukt zu stecken. Vielleicht wollen sie aber auch in genau diesem Schwebezustand bleiben.
Wenn Uli Gsell beim Steinwerk seines Vertrauens, meist in der Eifel, sogenannte Krustenplatten erwirbt, bekommt er quasi Reste in und unter seine Hände – nämlich die beim Schneiden von Steinblöcken wegfallenden Außenseiten der Steine. Was Uli Gsell mit diesen vermeintlichen Abfallprodukten macht ist weitaus mehr als Kunst-Recycling.
Göttliches Schöpfertum und künstlerisches Tun, natürlich Entstandenes und bewusst Gestaltetes ergänzen sich in den Wandarbeiten und Skulpturen zum harmonischen Ganzen. Die an die richtigen Stellen gesetzten scharfkantigen Durchbrüche bezeugen nicht nur das handwerkliche Können des Künstlers, sondern auch dessen Sensibilität, räumliches Denken, Fantasiefähigkeit und Erkundungsdrang. Mit der Flex legt er quasi die Erinnerung der Steine frei. Dass Basaltlava in seinem Innern dunkler ist als an seiner Oberfläche ist da nur eine Erkenntnis von vielen.
Die Energie, die von der Natur und vom Künstler in die Herstellung der Skulpturen gesteckt wurde, ist sicht- und spürbar und strahlt als Aura in die Umgebung und auf den Betrachter zurück.
Uli Gsells Bildhauereien sind der Beweis, dass sich brachiale Gewaltanwendung und Fingerspitzengefühl keineswegs ausschließen müssen. Verschnitte, richtigen „Ausschuss“ gibt es selten. Der Künstler selbst sagt dazu: „Entweder ich bin so gut oder ich bin so vorsichtig“. Wahrscheinlich ist er beides.
Dem Bildhauer Otto Baum wird das folgende Zitat zugeschrieben: „Eine Plastik ist gut, wenn man sie einen Berg herunter rollen kann und nichts abbricht“. Wendet man dieses Kriterium an, handelt es sich bei den Skulpturen von Uli Gsell um keine besonders guten Skulpturen.
Gott sei Dank gibt es aber noch andere Kriterien. Ulrich Rückriem und Eduardo Chillida wären hier vor Ort wahrscheinlich entzückter als Herr Baum. Denn: Uli Gsells Skulpturen haben buchstäblich Ecken und Kanten. Uli Gsell hat eine individuelle Formensprache gefunden, einen eigenen, zeitlosen, fast mystischen Zeichen-Kosmos.
Was ich – unabhängig von der reizvollen Form – interessant finde, ist auch der narrative Gehalt der Skulpturen und Skulptur-Abdrücke. Möglicherweise erwischt man sich bei der Frage, wer die archaisch anmutenden Gebäude gebaut hat, wer darin wohnt oder wohnen könnte bzw. was die in der Nebeneinanderreihung zu Hieroglyphen werdenden Zeichen bedeuten könnten?
Bereits die aufwendige Herstellung der Arbeiten lässt die Skulpturen in einer Kunstwelt, die größtenteils von hastig hingeworfenen Pinselstrichen und schnell geschossenen Fotos beherrscht wird, anachronistisch erscheinen. Ja, sagen wir ruhig „klassisch“ oder gar „altmodisch“.
In der „Hieroglyphenstille“ betitelten Ausstellung scheint die Zeit still zu stehen. Die von den Steinskulpturen und Drucken bzw. Frottagen ausgehende meditative Poesie stellt einen sinnlichen Gegenpol zur Hektik auf unseren Straßen dar. Die Werke durchbrechen buchstäblich Sehgewohnheiten, scheinen zur Entschleunigung aufzufordern und uns zum Innezuhalten zu motivieren – und zum genaueren Hinsehen. Uli Gsells Skulpturen sind regelrechte Stolpersteine, die sich unserem an Hektik und schnell geschnittene Bilder gewöhntem Blick in den Weg stellen.
Eigentlich ist Uli Gsell mehr Architekt als Bildender Künstler. Innerer und äußerer Raum verzahnen sich. Als Räume im Raum suchen und finden die Skulpturen den Dialog mit der Architektur. Sie rufen den streng geometrischen Stützpfeilern des Hohenloher Kunstvereins ein neckendes „Ätschebätsch“ entgegen und zeigen der nüchternen, durch die Fenster sichtbaren Architektur die lange Nase.
Bleibt mir nur noch, Sie zu bitten: Machen Sie sich selbst auf ihre eigene Spurensuche, finden Sie eigene Assoziationen und bitte den Mut und die Zeit, auf die Kunstwerke, aber auch auf den anwesenden Künstler zuzugehen. Werden Sie zum Archäologen, wandeln sie auf den Gedankenwegen ins Innere der Steine und lassen Sie ihre Gedanken durch die Öffnungen fließen.